Landolf Scherzer in dem Band “Thüringer Stimmen / Porträts und Texte von funfundzwanzig Autoren” (Hrsg. Jens-F. Dwars, Bucha/Jena: quartus-Verlag 2016)

Der Erste — Der Zweite…

Heute wird Landolf Scherzer 80 Jahre alt

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Als 1988 in der DDR „Der Erste“ erschien, interessierten sich in Westdeutschland nicht nur Feuilleton-, sondern auch Politikredaktionen plötzlich für Landolf Scherzer, den Autor des Buchs.

In der DDR kannte mancher seine Reportagen oder Reisebücher. Aufsehen erregte das „Protokoll einer Begegnung“, so der Untertitel, ging es doch nicht um irgendeine Begegnung, sondern um die mit einem Provinzfürsten. Auf „Erste“ wurden im DDR-Jargon die barocken Bezeichnungen für SED-Kreissekretäre, die Parteielite unten im Land, verkürzt. Vier Wochen lang durfte der sächsische Wahlthüringer Scherzer den Parteifunktionär in und um Bad Salzungen begleiten. Sein Bericht sollte eigentlich in Fortsetzungen in der größten DDR-Tageszeitung „junge Welt“ erscheinen, das unterblieb nach Intervention des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend. Das Buch brachte ein wenig Glasnost in die DDR, zeigte Perspektivlosigkeit und Überforderung. Mit dem Untertitel „Eine Reportage aus der DDR“ erschien es 1989 auch in Köln bei „Kiepenheuer & Witsch“, im Verlag Günter Wallraffs, der dann oft Gast bei Scherzer war.

Das “Protokoll einer Begegnung”, mit dem Scherzer 1988 im geteilten Deutschland in Ost und West bekannt wurde.

Nach der Wiedervereinigung heftete Scherzer sich an die Fersen des neuen Landrats, zuvor Oberst an der Bundeswehr-Führungsakademie in Hamburg, und beschrieb in „Der Zweite“ die Wiedervereinigung aus der Perspektive des Thüringer Walds. „Ehemalige DDR-treue Funktionäre der Ost-CDU findet er auf frischen Posten, sie waren damals Sieger der Geschichte und sind es heute wieder“, berichtete Erich Loest sarkastisch in der F.A.Z. (vom 15. September 1997) aus dem Buch und über die Region, die dieser Tage nur deshalb Beachtung findet, weil dort Christdemokraten die Bundestagskandidatur Hans-Georg Maaßens erwägen.

Vielleicht prädestiniert Scherzer, über Personalia zu schreiben, weshalb ihn in den sechziger Jahren die Journalistikfakultät Leipzig exmatrikulierte: „weil ich in meiner Abschlussarbeit über Personenkult in der DDR geschrieben hatte“.

Geschichten für die Geschichtswissenschaft: Scherzers erstes Online-Meeting

Für den 10. Februar 2021 hatte Norbert Frei den Schriftsteller in das zeitgeschichtliche Kolloquium am „Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts“ eingeladen, in dem sonst Historiker Resultate ihrer Forschungen vorstellen (und das diesmal zugleich Freis Abschiedsveranstaltung war). So absolvierte Scherzer, der meint, nur bis zum Fünfundsiebzigsten habe er Neugier verspürt, das erste Zoom-Meeting seines Lebens, für das er extra aus seinem Häuschen, das einsam im Wald steht, sich nach Suhl zu einem Freund mit stabiler Internetverbindung begab. Zum heutigen achtzigsten Geburtstag erschien im Aufbau-Verlag ein Band, in dem Landolf Scherzer auf sein Reporterleben im „Weltraum der Provinzen“ zurückblickt.

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